2.336 Ungarn in der Ukraine (Karpaten-Ukraine)



2.336 Ungarn in der Ukraine (Karpaten-Ukraine)

1. Vorwort – Einführung

Seit dem Jahr 2014 sind alle Blicke der Weltöffentlichkeit auf den Osten der Ukraine gerichtet und man verfolgt mit Spannung, ob es gelingt einen Kompromiss zwischen der Kiewer Regierung und den von Russland unterstützen Rebellen in der Don bass-Region zu finden. Eine Lösung des Problems kann m. E. nur in einer Föderalisierung der Ukraine liegen. (siehe dazu meinen Post 2.320 Ukrainer – ukrainisch - Ukraine).

Dabei wird im Westen oft übersehen, dass  die Ukraine ein in vielerlei Hinsicht gespaltenes Land ist. Im Westen des Landes leben z. B. in der Region Transkarpatien (Oblast Transkarpatien, auch Karpato-Ukraine, Karpaten-Ukraine) ca. 160.000 Ungarn in einem schmalen Streifen Land, den Ungarn nach dem 1. Weltkrieg an die neu gegründete Tschechoslowakei und nach dem 2. Weltkrieg an die Sowjet-Union bzw. die Teilrepublik Ukraine abtreten musste.
Bei einem Besuch des ungarischen Außenministers János Martonyi Anfang August 2014 in Transkarpatien sicherte der Außenminister den dort lebenden Magyaren die volle Unterstützung der ungarischen Regierung  zu und legte dar, dass es der beste Weg zur Konfliktlösung wäre,  die ukrainischen Verfassung zu ändern und eine Dezentralisierung des Landes festzulegen. Nur so könne die Ukraine auf eine stabile Basis gestellt werden, sagte auch László Brenzovics, ein Wortführer der ungarischen Minderheit, denn die Ukraine habe „keine Zukunft als Zentralstaat“.[1]

2. Lage und Zahlen


Die Lage des Gebietes Transkapatien in der Ukraine ist aus der nachstehenden Karte zu ersehen:
 Oblast Transkarpatien in der Ukraine Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Karpatenukraine
 
Die Karpaten-Ukraine grenzt an Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen. Es handelt sich traditionell um ein multiethnisches Gebiet mit heute etwa 1,3 Millionen Einwohnern, davon ca. 600.000 Ukrainern, ca. 400.000 Russinen (auch als Ruthenen bezeichnet, die aber von der ukrainischen Regierung nicht als eigene Nationalität anerkannt und den Ukrainern zugerechnet werden)  und ca. 160.000 Ungarn (offiziell lt. Volkszählung von 2001 151.500 = 12,1 % der Bevölkerung).  Hinzu kommen ca. 40.000 Rumänen, 30.000 Russen, 14.000 Roma, 5.600 Slowaken und ca. 3.000 Karpaten-Deutsche. Vor dem 2. Weltkrieg lebten hier fast 100.000 Juden, von denen nur ein kleiner Teil den Holocaust überlebte.[2]  Zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie errechneten Landvermesser hier den geografischen Mittelpunkt Europas. Heute ist Transkarpatien eher eine Randregion, nur einen Steinwurf vom Europa der EU getrennt und dennoch hinter einer Grenze, die trennt aber auch für manche letzte Möglichkeit zum Gelderwerb ist.[3]
Ethische Ungarn wohnen in Transkarpatien in ca. 130 Gemeinden und stellen in 80 davon die Bevölkerungsmehrheit.[4]

3. Geschichte

Zur Geschichte der Magyaren und des ungarischen Staates siehe meinen Post 
2.330 Ungarn, Magyaren
Die wechselvolle Geschichte von Transkarpatien bringt ein Mitglied der dortigen ungarischen Minderheit auf folgenden kurzen Nenner: „Mein Großvater hat sein Leben lang in demselben Dorf gewohnt und dabei in 5 verschiedenen Staaten gelebt.“[5]
Bis zum ersten Weltkrieg gehörte dieses Gebiet zum ungarischen Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Transkarpatien im Friedensvertrag von Trianon der neu gebildeten Tschechoslowakei zugesprochen.[6]  Tatsächlich lebten hier laut Volkszählung 1930 nur 34.500 Tschechen und Slowaken, das waren 4,76% der Gesamtbevölkerung, gegenüber 115.805 (=15,6%) Ungarn. Auf den als ungerecht empfundenen Frieden von Trianon  reagierten die Ungarn mit einer Politik des Revisionismus, die sie an die Seite des nationalsozialistischen Deutschland führte, das gleichgelagerte Ziele verfolgte. Nachdem Hitler im Münchener Abkommen vom 29. 9. 1938 das Sudetenland zugesprochen erhielt, verlangte Ungarn in einem Zusatzprotokoll, dass innerhalb von drei Monaten in bilateralen Verhandlungen  auch die Frage der ungarischen Minderheit in der Slowakei und in Transkarpatien gelöst werden müsse. Nachdem diese Verhandlungen für Ungarn keine befriedigende Lösung erbrachten, erklärten sich sowohl Tschechoslowaken als auch Ungarn damit einverstanden, dass sie sich einem Schiedsspruch der Großmächte Deutschland und Italien beugen, nachdem Großbritannien und Frankreich ihr Desinteresse bekundet hatten. Im Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 wurden durch den deutschen Außenminister von Ribbentrop und den italienischen Außenminister Ciano den Ungarn sowohl Gebiete in der Südslowakei wie in der Karpato-Ukraine zugesprochen, die von Ungarn umgehend besetzt wurden.(siehe folgende Karte)[7] 

                                         Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Wiener_Schiedsspruch

Anschließend zogen ab 1941 Ungarn auch aus Transkarpatien in den Krieg gegen die Sowjet-Union.

Am Ende des 2. Weltkrieges stand Ungarn wieder auf der Seite der Verlierer. Die Alliierten Siegermächte hatten bereits während des Krieges die Wiener Schiedssprüche für null und nichtig erklärt  und demzufolge musste Ungarn alle slowakischen Gebiete und Transkarpatien wieder räumen. In einem Vertrag zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjet-Union wurde am 29. 6. 1945 vereinbart, dass Transkarpatien an die Sowjet-Union bzw. die sowjetische Teilrepublik Ukraine angegliedert wird. Damit gehörte auch die dortige ungarische Minderheit nun zur Sowjet-Union, deren Machthaber viele Ungarn nach Sibirien deportierten. Wer dort überlebte kehrte erst nach Stalins Tod zurück. Schließlich gehört die ungarische Minderheit in Transkarpatien seit der Auflösung der Sowjet-Union 1991  nun zum unabhängigen Staat Ukraine.

4. Die Situation der Ungarn in der Ukraine – Perspektiven


Während der Sowjetzeit wurden russische Beamte und Soldaten in Transkarpatien angesiedelt, was eine massive Russifizierung zur Folge hatte. Die ungarische Minderheit hat jedoch nach wie vor eigene Schulen, Vereine und Parteien und seit 1996 können Ungarn an einer eigenen Hochschule wieder ein Studium in ihrer Muttersprache abschließen. Dies ermöglicht der ungarische Staat, indem er jährlich ca. 1 Million Dollar zur Aufrechterhaltung und Unterstützung ungarischer Kindergärten, Schulen, Kulturvereine und der ungarischen Universität überweist. Dennoch gehen viele ungarische Kinder auf ukrainische Schulen und stehen in der Gefahr sich zu assimilieren.
Da man in der Sowjetzeit schlechte Erfahrungen mit den Russen gemacht hat unterstützten die ukrainischen Ungarn 2004 die Orangene Revolution von Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, aber die neue Regierung hatte nicht das geringste Interesse daran, den Regionalismus in Transkarpatien zu fördern, weil sie fürchtete, dass dies wiederum den Osten autonomer machen würde. Deshalb wurde überall, wo es ging, das Ukrainische zur Pflichtsprache erhoben - zum Leidwesen der Minderheiten.  Vertreter der ungarischen Minderheit sind bisher von allen ukrainischen Regierungen enttäuscht worden und erwarten nichts von diesem Staat. Als Wiktor Janukowitsch, gegen den sich 2004 die "Orangene Revolution" gerichtet hatte, nach Timoschenkos Wahlniederlage 2010 wieder als Präsident an die Macht kam unterzeichnete er wenige Wochen vor den Parlamentswahlen vom 28. Oktober 2012 ein Gesetz, das Minderheitensprachen, die von mehr als 10 Prozent der Bevölkerung eines Oblasts gesprochen werden, einen offiziellen Status einräumt. Das war keine ungeschickte Strategie, um sich die Stimmen der Minderheiten zu sichern und gleichzeitig die russischsprachigen Wähler zu mobilisieren. Am 24. Dezember 2012 wurde das Gesetz vom transkarpatischen Regionalparlament ratifiziert.[8] Nach den Ereignissen auf dem Maydan in Kiew und den darauf folgenden Umwälzungen und Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine kommen auch aus dem Westen immer häufiger Forderungen nach einer Regionalisierung bzw. Föderalisierung der Ukraine. Auch gibt es Widerstand gegen die Einberufung  zum Krieg in der Ostukraine sowohl in den ungarischen wie auch den rumänischen Minderheitsgebieten.[9] Der neuen Regierung steht man reserviert gegenüber, weil das Revolutionsparlament das 2012 verabschiedete Gesetz über die Minderheitensprachen wieder abgeschafft hat. Auf Drängen des Westens wurde dieser Beschluss allerdings zunächst wieder ausgesetzt, die Unsicherheit bei den Minderheiten aber bleibt.[10]
Viele Angehörige der ungarischen Minderheit haben jedoch die Hoffnung auf eine aussichtsreiche Zukunft in ihrer Region aufgegeben und wandern nach Ungarn aus. Besonders Intellektuelle und Hochschulabsolventen der ungarischen Universität verlassen das Land, da sie in der Ukraine mit ihrer Muttersprache wenig Chancen haben. Der Wechsel nach Ungarn wird erleichtert,  weil das ungarische Konsulat großzügig ungarische Pässe an Angehörige der Minderheit ausgibt (siehe 2.330 Ungarn,  Magyaren Pkt. 5 und 6 ), obwohl in der Ukraine offiziell eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlaubt ist. Eine Positive Entwicklung für die ungarische und andere Minderheiten in der Ukraine ist m. E. nur dann möglich, wenn durch einen historischen Kompromiss das Land tatsächlich in eine Föderation umgestaltet wird und dabei auch Transkarpatien für die verschiedenen Volksgruppen, also vor allem Ungarn, Russinen (Ruthenen) und Rumänen eine echte Selbstverwaltung erhält.





[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Karpatenukraine darin auch Angaben zur Verteilung der ethnischen Gruppen in den Jahren 1880, 1930 und 1989
[3] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText.artikel,a0045.idx,11
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Magyaren
[5] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText.artikel,a0045.idx,11
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Trianon 
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Wiener_Schiedsspruch

[8] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText.artikel,a0045.idx,11
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krim-krise-ukraine-verzichtet-auf-umstrittenes-sprachengesetz-12826788.html

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