2.0109 Südtirol, Deutsche Südtiroler



Achtung: Der Beitrag wurde immer wieder ergänzt, zuletzt im Oktober 2021

1. Einleitung - Name, Lage und Zahlen


Südtirol in seinen heutigen Grenzen ist ein Produkt des 1. Weltkriegs.(→ nachfolgend unter Geschichte). Bis 1918 wurden alle Tiroler Gebiete südlich des Brenners  also auch das Trentino  als Südtirol bezeichnet. Das italienischsprachige Trentino nannte man im Gegensatz zum deutschsprachigen Südtirol (vom Brenner bis zur Salurner Klause) Welschtirol. Im Friedensvertrag von St. Germain musste Österreich alle Gebiete südlich des Alpenhauptkamms / des Brennerpasses und das Pustertal bis Winnebach an Italien abtreten (→ 3a. Geschichte). 


Dadurch wurde auch Osttirol von Nordtirol abgetrennt, so dass das neue östereichige Bundesland Tirol aus zwei nicht miteinander verbundenen Landesteilen besteht. Dazwischen liegt das Bundesland Salzburg.

Heute bilden die beiden autonomen Provinzen Südtirol und Trentino die italienische autonome Region Trentino-Südtirol, wobei die Aufgaben einer italienischen Region weitgehend auf die beiden autonomen Provinzen übergegangen sind.

Im Rahmen der EU haben sich die drei früheren Tiroler Landesteile (Bundesland Tirol – Südtirol – Trentino) zur Europa-Region Tirol zusammengeschlossen. Eine Übersicht gibt die nachstehende Karte:



In Dokumenten des Landes Südtirol wird seit dem Südtirol-Paket  (→ 3c. Geschichte) die Langform Autonome Provinz Bozen – Südtirol verwendet. Auf italienisch lautet die offizielle Bezeichnung: Provincia Autonoma di Bolzano – Alto Adige, und auf ladinisch: Provinzia Autonoma de Balsan – Südtirol (auf Gadertalisch) oder Provinzia Autonoma de Bulsan – Südtirol (auf Grödnerisch).1

2.Sprache


Die autonome Provinz Südtirol hat ca. 500.000 Einwohner, davon erklärten sich 2011 bei der Volkszählung 314.000 (= 69,4%) zur deutschen Sprachgruppe und 20.500 (= 4,5%) als Ladiner. 118.000 oder 26,1 % gehören zur italienischen Sprachgruppe. Während 1910 im heutigen Südtirol nur 7339 italienischsprachige Tiroler lebten stieg diese Zahl aufgrund der faschistischen Politik in den 1920er und 1930er Jahren bis 1961 auf 128.271 (= 34,3%). Darnach hat sich das Verhältnis langsam auf die heutigen Verhältnisse hin entwickelt. Die ladinische Sprachgruppe ist die älteste in Südtirol.( →eine ausführliche Darstellung der Situation der Ladiner erfolgt im Kapitel 3.092 Dolomiten-Ladiner). Außerdem leben in Südtirol z. Zt. ca. 40.000 Ausländer, vorwiegend aus dem EU-Raum.

3. Geschichtliche Entwicklung

a) Die Zeit von 1918 bis 1939

Italien, der vormalige Dreibundpartner von Deutschland und Österreich-Ungarn trat 1915 an der Seite der Alliierten in die Kriegsfront gegen die Mittelmächte ein. Dieser Treuebruch wurde seitens der Alliierten mit weitgehenden Zugeständnissen belohnt.2 Diese Zugeständnisse wurden bei den Pariser Friedenskonferenzen durch Frankreich und Großbritannien letztlich eingelöst, obwohl sie nach dem Eintritt der USA in den Krieg den Kriegszielen des amerikanischen Präsidenten (und dessen 14 Punkten) völlig entgegenstanden. Punkt 9 der Erklärung des US-Präsidenten Wilson vom 8. 1. 1918 sah ausdrücklich eine Grenze Italiens aufgrund der klar erkennbaren nationalen Scheidelinien vor. Ferner konnte man sich auf das mehrfach vom amerikanischen Präsidenten verkündete Selbstbestimmungsrecht berufen.3

Der Wunsch der Italiener nach Anschluss des bis dahin südlichen Tirols, der überwiegend italienischsprachigen heutigen Provinz Trient, entsprach dem Zeitgeist. Die Habsburg-Monarchie als Vielvölkerstaat hatte zwar auch im italienischsprachigen Tirol durchaus viele zufriedene Mitbürger, zumal Österreich „seinen“ Italienern weitgehende Zugeständnisse machte. Die „Heimkehr“ dieses vor 1918 als Welschtirol bezeichneten Gebietes in das italienische Vaterland erschien damals vielen Welschtirolern in einem rosigen Licht. Später – insbesondere unter der Herrschaft des Faschismus – erfolgte eine Ernüchterung und die Zeit der K. u. K.-Monarchie betrachtete man mit einer verständnisvolleren Haltung.4

Demgegenüber empfanden alle deutschen Tiroler zwischen Brenner und Salurner Klause die Angliederung an Italien als grobes Unrecht. Wie schon erwähnt, wohnten bei der Volkszählung 1910 im heutigen Südtirol lediglich ca. 7000 Italiener, das waren 3 % der Bevölkerung. Diese konzentrierten sich auf einige kleinere Orte im Unterland und die Stadt Bozen (allerdings betrug auch hier der Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung nur 4 %).5 Selbst nach der Volkszählung von 1921 siedelten in diesem Raum nur 8 % Italiener, von denen der größte Teil erst nach 1918 ins Land gekommen war.6 Aber alle Proteste der deutschen und auch der ladinischen Tiroler waren vergebens. In einer Petition Südtiroler Gemeinden (Februar 1919) an den amerikanischen Präsidenten heißt es u.a.: „ ...Die Tiroler Wasserscheiden waren niemals Staats-, niemals Volksgrenzen. Die Sprachgrenze in Tirol ist scharf gezogen, wie sie sich kaum noch ein zweites Mal in Europa findet.....Und nun soll unsere deutsche Heimat mit ihrer tausendjährigen Kultur und Geschichte, dieses Volk mit seinem angestammten Freiheitssinn italienisch werden? Ein einziger Aufschrei tiefsten Schmerzes durchhallt bei diesem Gedanken das ganze Land!....Seien Sie unserem Lande ein gerechter Richter...Darum bitten sämtliche Gemeinden Deutsch-Südtirols und die zwölf ladinischen Gemeinden von Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa….“7 Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von St. Germain bei Paris am 10. 9. 1919 wurde die Angliederung Südtirols an Italien völkerrechtlich vollzogen.

Zunächst gab es positive italienische Signale an die deutsche und ladinische Minderheit. Der italienische König und liberale Politiker sicherten den Fortbestand deutscher Schulen, Anstalten und Vereine zu. Bei den Wahlen zum römischen Parlament am 15. 5. 1921 konnte der Deutsche Verband (eine Listenverbindung der Tiroler Volkspartei und der Deutschfreiheitlichen Partei) 90 % der Stimmen und 4 Abgeordnetenmandate in Südtirol gewinnen. Die deutschen Sozialdemokraten erzielten 10 % der Stimmen, was nicht zu einem Mandat reichte. Die Abgeordneten versuchten in Rom eine Autonomie für Südtirol zu erreichen.8

Dieses moderate Verhalten des italienischen Staates und die Hoffnung der Südtiroler auf eine angemessene Autonomie endeten abrupt mit der Machtergreifung der Faschisten (28. 10. 1922). Bereits im Januar 1923 wurde die neue Provinz Trient geschaffen, die ganz Südtirol einschloss. Die neuen Herren ließen durch den Exponenten der Italienisierung Südtirols, Senator Ettore Tolomei, im Juli 1923 im Bozner Stadttheater die sogenannten 32 Punkte zur Assimilierung Südtirols verkünden, die in kürzester Zeit umgesetzt werden sollten. Ziel war es – notfalls mit Gewalt – die völlige Italienisierung Südtirols durchzudrücken. In der Öffentlichkeit war der Gebrauch der deutschen Sprache verboten, alle Ortsnamen wurden (zum größten Teil ohne geschichtlichen Bezug) in neue italienische Namen geändert.9 Es war bei Strafe verboten, statt der offiziellen Bezeichnung Alto Adige den Landesnamen (Süd) -Tirol zu benutzen. Tolomei übernahm die Bezeichnung Alto Adige für das 1919 von Östereich abgetrennte Südtirol (ohne das Trentino) in Anlehnung an das französische Haut-Adige, denn von 1810 bis 1814 bildeten das Trentino und Teile Südtirols ein Département im napoleonischen Königreich Italien,  das bereits damals mit „Dipartimento dell’Alto Adige“ offiziell ins Italienische übersetzt worden war.

Durch die Faschisten wurde die Gemeinde-Autonomie aufgehoben und alle gewählten Bürgermeister durch einen Amtsbürgermeister (podestá) ersetzt. Der deutsche Beamtenapparat wurde zerschlagen und alle Gemeindesekretäre durch Italiener ersetzt.

Die deutschsprachige Presse (wie auch die oppositionelle italienische Presse) wurde zunächst der Aufsicht des jeweiligen Präfekten unterstellt, der zunächst Druck auf die jeweiligen Verantwortlichen ausübte und sie nach zweimaliger Verwarnung entlassen konnte. Ab 1925 wurde dann eine Vorzensur eingeführt, was zur Folge hatte, dass häufig Zeitungen mit vielen weißen Flecken erschienen. Die damals bekannteste Zeitung „Landsmann“ wurde schließlich Ende 1925 verboten (die letzte Ausgabe erschien am 26. 10. 1925). Eine Anzahl kleinerer deutschsprachiger Blätter konnte darnach noch weiter erscheinen, nach einem Attentat auf Mussolini am 31. 10. 1926 wurde jedoch italienweit der Druck auf die Presse verschärft, was für Südtirol das Ende der unabhängigen deutschen Presse bedeutete. Stattdessen wurde von den faschistischen Machthabern die deutschsprachige „Alpenzeitung“ (später umbenannt in „Politisches Tagblatt der Provinz Bolzano“) herausgegeben, ein reines faschistisches Propagandablatt, das weniger informierte, als Verwirrung in die Bevölkerung trug. Es begann die „zeitungslose, die schreckliche Zeit“, wie es in einer Festschrift zu Ehren Michael Gampers 1955 heißt.10

Eine besonders einschneidende Maßnahme zur Italianisierung Südtirols war vor allem die Förderung der Einwanderung und Ansiedlung von Italienern in Südtirol, verbunden mit erheblichen Bautätigkeiten im Bereich der Industrie und des Wohnungsbaus – Maßnahmen, die bis heute in Südtirol nachwirken. Inbesonde in der alten deutschen Handelsstadt Bozen wurden Italiener aus dem Süden angesiedelt, so dass heute viele Stadtteile Bozens einen ähnlichen Charakter haben wie süditalienische Städte. 

Ein weiterer schwerer Schlag war das völlige Verbot der deutschsprachigen Schulen und der damit verbundene Zwang zum ausschließlich italienischsprachigen Unterricht. Welche Folgen das für die Südtiroler Kinder hatte schildert besonders plastisch Klaus Gatterer, der 1924 in Sexten geboren wurde.11 Um den Kindern ein Minimum an Kenntnissen der deutschen Sprache zu vermitteln, wurden ab 1925 durch den Priester Kanonikus Michael Gamper die sogenannten Katakombenschulen illegal organisiert. Außerdem durfte auf Druck kirchlicher Kreise aus Deutschland, Österreich und Südtirol auch Religionsunterricht auf Deutsch erteilt werden. Kanonikus Gamper fand tatkräftige Unterstützung bei vielen beherzten Südtiroler Männern und Frauen, die dafür erhebliche persönliche Beschwernisse in Kauf nahmen: Ständige Beobachtung und Überwachung durch staatliche Organe, häufige Verhöre, bis hin zu Kerkerstrafen, Gefangenschaft und Verbannung.12

b) 1939 – die Option

Nach der Machtergreifung Hitlers und der NSDAP in Deutschland wuchsen bei den Südtirolern neue Hoffnungen, dass sich das völkisch denkende Deutschland für die Belange der Südtiroler einsetzen würde. Diese Hoffnungen wurden aber enttäuscht, denn Hitler war in erster Linie Machtpolitiker und die Allianz mit Mussolini-Italien war ihm wichtiger als das Schicksal seiner „Volksgenossen“ in Südtirol. Mussolini  unterstütze Hitler beim Einmarsch ins Sudetenland und nach Österreich unter der Bedingung, dass die Alpengrenze unangetastet bleibt. Da Mussolini andererseits feststellen musste, dass auch der oben geschilderte enorme Druck die Südtiroler nicht von ihrem Volkstum abbringen konnte, ersann er mit seinem Diktator-Kollegen eine besonders perfide Lösung, die sogenannte Option. Nachdem am 22. 5. 1939 ein Militärbündnis (der sogenannte Stahlpakt) zwischen Deutschland und Italien geschlossen war wurde kurz darauf am 23. Juni 1939 die „Berliner Vereinbarung“ getroffen, die am 21. 10. und 17. 11. 1939 durch Zusatzvereinbarungen ergänzt wurde. Diese Vereinbarung, die als „Option“ in die Geschichte einging, ließ den deutsch- und ladinischsprachigen Bewohnern Südtirols nur die Wahl zwischen „Pest und Cholera“. Wer seine deutsche Nationalität nicht aufgeben wollte, konnte für eine Umsiedlung in das Deutsche Reich „optieren“. Wer dies nicht tat musste praktisch seine Assimilation in das italienische Volk hinnehmen. Zudem tauchten Gerüchte auf, das die „Dableiber“ nach Sizilien oder gar Abessinien umgesiedelt würden – ein Gerücht das zwar nie offiziell vom italienischen Staat bestätigt wurde – aber es wurde auch nicht eindeutig dementiert.

Die Folge war eine zunächst eine tiefe Enttäuschung und darnach eine unglaublich aufgeladene Stimmung, die vom Hitler-treuen völkischen Kampfring noch angeheizt wurde. Den Optanten wurden große Versprechungen gemacht, die Dableiber als Volksverräter beschimpft. Ein Riss ging durch die Bevölkerung, ja durch ganze Familien. Letztendlich stimmten von 247.000 Südtirolern 213.000 für die Auswanderung in das deutsche Reich. Die Südtiroler entschieden sich dafür, lieber die Heimat zu velassen, als wegen Sprache und Kultur weiter unterdrückt und Repressionen ausgesetzt zu sein.

Die Umsetzung der Vereinbarung stieß dann jedoch auf vorher nicht bedachte Probleme. Tatsächlich verließen zwar bis 1942 ca. 75.000 Menschen das Land, neben jungen Männern, die in den Dienst der deutschen Wehrmacht traten vorwiegend Familien, die in Südtirol kein Eigentum an Grund und Boden hatten. Viele von ihnen zogen zu Verwandten und Freunden vor allem in Tirol und Vorarlberg. Da die Eigentümer entschädigt werden mussten, gab es wegen der Höhe der Entschädigung erhebliche Differenzen. Das Deutsche Reich brauchte dringend Devisen für seine anlaufende Kriegsmaschine, aber auch Italien war schwach an Devisen und der Besitz der Südtiroler wurde auf 15 – 20 Milliarden Lire geschätzt. Auch wurden alle deutschen Kulturgüter akribisch erfasst, denn laut Vertrag durften diese von den Auswanderern mit ins Deutsche Reich genommen werden.Daher hatten die Italiener wenig Interesse an einer schnellen Umsiedlung vor allem der ländlichen Bevölkerung, zumal diese nicht so einfach zu ersetzen war die Bewohner in den Städten.

Endgültig gestoppt wurde die Auswanderung im September 1943, als Italien nach der Landung alliierter Truppen auf Sizilien die Fronten wechselte und deutsche Truppen in Norditalien einmarschierten. Südtirol wurde nun die Operationszone Alpenvorland. Die Südtiroler empfanden das als Befreiung und mit der Schaffung einer deutschen Zivilverwaltung wurde die deutsche Sprache wieder voll anerkannt. 1944 durften schon wieder alle deutschen Kinder eine deutsche Schule besuchen.13

c) Geschichte Südtirols von 1945 bis heute

Über die Entwicklung Südtirols nach dem 2. Weltkrieg liegt inzwischen eine Fülle von Material vor, das auch über das Internet jederzeit zugänglich ist. Daher beschränke ich mich zunächst darauf, in einer tabellarischen Übersicht die Entwicklung Südtirols nach dem 2. Weltkrieg insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung zur heutigen Autonomie darzustellen:



Nach Ende des 2. Weltkriegs war zunächst das weitere Schicksal Südtirols völlig offen. Jedoch schon auf der Potsdamer Konferenz der Siegermächte 1945 wurde das Schicksal Südtirols dahingehend besiegelt, dass die Brenner-Grenze nicht angetastet wurde. Hinsichtlich des Friedensvertrags mit Italien wurde jedoch eine vom amerikanischen Außenminister Byrnes vorgelegte Zusatzformel  einstimmig angenommen und am 1. 5. 1946 bestätigt, die lautete: "Die Grenze Italiens mit Österreich wird unverändert bleiben, mit Ausnahme, jeden Fall zu hören, den Österreich für kleinere Grenzberichtigungen zu seinen Gunsten vorbringt."  Am 24. 6. 1946 lehnten die Außenminister der vier Siegermächte einen Vorstoß Österreich über die Rückgabe des Pustertals einschließlich Brixen ab, obwohl die britische Seite dem damaligen österreichischen Außenminister Gruber zuvor empfohlen hatte, diesen Antrag zu stellen. Die Briten waren es dann aber, die Druck auf die italienische Seite ausübten, mit Österreich ein zufriedenstellendes Abkommen über die Zukunft der deutschen Minderheit in Südtirol zu treffen. 
Aufgrund dieser britischen Initiative kam es in den folgenden Wochen zu Verhandlungen, die am 5. 9. 1946 zur Unterzeichnung des sogenannen Gruber-Degasperi-Abkommens führte. Das Abkommen besteht nur aus drei Paragraphen auf zwei DIN A 4 Seiten, war aber für die weitere Entwicklung Südtirols von entscheidender Bedeutung, weil es Bestandteil des Friedensvertrages mit Italien - und damit völkerrechtlich verbindlich - wurde. Der Friedensvertrag zwischen Italien und den alliierten Siegermächten wurde am 10. 2. 1947 in Paris abgeschlossen und enthält das Gruber-Degasperi-Abkommen als Anlage IV (deshalb wird es auch als Pariser Vertrag bezeichnent). Wichtig war vor allem die Bestimmung in §2, die besagte: Der Bevölkerung (Südtirols) wird die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt zuerkannt. Zunächst zeigten die demokratischen Parteien Italiens allerdings wenig Neigung, die Vereinbarung auch mit Leben zu füllen.
Ganz im Gegenteil:  Das von der verfassunggebenden Versammlung Italiens verabschiedete Erste Autonomiestatut - in Kraft getreten am 14.3.1948 - legte
die beiden Provinzen Bozen und Trient zu einer Region Trentino-Südtirol mit einem regionalen Parlament und einer Regionalregierung zusammen. In dieser Region hatte damit der italienische Bevölkerungsanteil die Mehrheit. Wesentliche Bestandteile des Pariser Abkommens blieben mit diesem 1. Autonomiestatut unerfüllt und stießen bei den deutschen Südtirolern auf erheblichen Unmut. Dieser steigerte sich noch, als die Regierung in Rom 1957 plante, in Bozen einen neuen Stadtteil mit 5.000 Wohneinheiten für Italienr aus dem Süden zu errichten.  Daraufhin kam es am 17. 11. 1957 zu einer
Massenkundgebungauf Schloss Sigmundskron bei der 35.000 Südtiroler gegen die Unterwanderung ihrer Heimat und gegen die Nichterfüllung des Pariser Vertrags protestierten. Sie forderten  mit dem„Los von Trient!“ eine eigene Autonomie für Südtirol. Mit einer flammenden Rede setzte sich der spätere Landeshauptmann Silvius Magnano für Verhandlungen mit der italienischen Regierung ein und konnte die wütende Menge soweit beschwichtigen, dass die Kundgebung friedlich zu Ende ging.
Aber auch in der Folge zeigte Rom kein Einlenken, so dass es zu weiteren Protesten kam,  die ihren Höhepunkt in der sogenannten Feuernacht am 11. Juni 1961 fanden.
Erst nach Einschaltung der UNO und einer UNO-Resolution vom 28. 11. 1961 kam es im Jahre 1972 nach langen und schwierigen Verhandlungen zwischen der Südtiroler Volkspartei und der römischen Regierung sowie zwischen den Regierungen Italiens und Österreichs zur Vereinbarung des 2. Autonomiestatuts.  Dieses Statut war jedoch nur der Anfang für die weiteren Verhandlungen nunmehr der Südtiroler (Landesregierung und zugewählte Abgeordnete des Landtags) mit der italienischen Regierung zur Ausgestaltung der Autonomie. Erst nachdem bei diesen Verhandlungen wesentliche Verbesserungen in der Zuständigkeit der Südtiroler Landesregierung und des Landtages erreicht wurden konnte im Jahre 1992 die Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien offiziell verkündet werden.
Der ehemalige Landeshauptmann und "Vater der Südtirol-Autonomie" Silvius Magnago war mit seinem folgenden Leitsatz  in die Verhandlungen gegangen:

“Wenn ein kleines Land glaubt, es kann einfach Staatsgrenzen ändern, sitzt es einer Illusion auf. Wenn es auf Gewalt setzt, wird es immer verlieren.” Deshalb sah Silvius Magnago in einer Autonomie innerhalb Italiens die beste Lösung für Südtirol. 

            Dr. Silvius Magnago - Südtiroler Landeshauptmann von 1961 - 1989
 

Später sagte Magnago dazu in einem Interview mit der Zeitschrift "Südtirol in Wort und Bild" Nr. 4/2002: "….es war eine lange schwere Zeit, die letzten Endes – ich kann das als großer Paket-Befürworter sagen – gut ausgegangen ist. Sie hat uns eine Autonomie gebracht, die natürlich noch besser, aber auch viel schlechter sein könnte."
 
Selbst die überwiegende Mehrheit aller Italiener erkennt heute an, dass die Autonomie Südtirols auch für Italien ein Vorzeigeobjekt ist. Sie gilt heute als vorbildhaft für die Lösung von Minderheits-Problemen nicht nur in Europa sondern auch in anderen Teilen der Welt, z.B. für Katalonien, Tibet oder Palästina.

Das Autonomiestatut für Südtirol in seiner heutigen Ausgestaltung umfasst eine Fülle von primären Kompetenzen der Südtiroler Landesregierung bzw. von Gesetzgebungskompetenzen des Südtiroler Landtages. Mit einer Verfassungsänderung genehmigte das italienische Parlament am 25. 10. 2000 eine
Reform der Statuten der Regionen und Provinzen mit Sonderstatut. Damit wurden die beiden Länder Südtirol und Trentino gegenüber der Region wesentlich aufgewertet und ihre Zuständigkeiten erweitert. Landeshauptmann Luis Durnwalder - der Nachfolger Magnagos - konnte zudem im Jahre 2009 mit dem sogenannten Mailänder Abkommen erreichen, dass die Finanzierung der Südtiroler Autonomie durch  gesicherte Einnahmen abgesichert wurde. Das Land Südtirol erhält seitdem „Neun Zehntel auf alles“ an  Stelle der bisher stets unsicheren und umstrittenen variablen Anteile an der Finanzierung des Landeshaushalts.
 

Zur Zuständigkeit des Landes gehört auch die Ortsnamensgebung, allerdings mit der Auflage der Zweisprachigkeit. 

                                              Beispiel eines zweisprachigen Ortsschildes in einem  
                                              Südtiroler Ort mit deutscher Bevölkerungsmehrheit

Erst im Jahr 2012 wurde im Südtiroler Landtag ein lange umstrittenes Gesetz zur Toponomastik verabschiedet. Es beruht auf einem Kompromiss zwischen der SVP und ihrem italienischen Koalitionspartner PD und wurde gegen den Widerstand der deutschen und italienischen Oppositionsparteien verabschiedet. Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder bezeichnet es in der Zeitschrift "Das Land Südtirol"(Ausgabe Oktober 2012) als historisch, denn es beendet einen jahrzehntelangen Streit. Die deutschen Südtiroler müssen dabei die von Tolomei geschaffenen italienischen Kunstnamen akzeptieren, denn auch das Autonomiestatut sieht für die Ortsnamen ausdrücklich die Zweisprachigkeit vor. Der Kompromiss sieht vor, dass künftig ein paritätisch besetzter Landesbeirat den ein- oder mehrsprachigen Namen eines Ortes, Berges, Waldes oder Flurnamens bestätigt, der imjeweiligen Südtiroler Bezirk gebräuchlich ist. Die Bewährung des Gesetzes steht noch aus.14

Wer sich weiter über die Geschichte Südtirols informieren möchte, den verweise ich auf die Website der Südtiroler Landesregierung unter folgendem Link:
http://www.provinz.bz.it/politik-recht-aussenbeziehungen/autonomie/geschichte-autonomie.asp
und über folgenden Link
http://www.provincia.bz.it/news/de/publikationen.asp#accept-cookies  
kann das
"Südtirol Handbuch mit Autonomiestatut" angefordert werden

4. Schule und Bildung in Südtirol

Das Bildungswesen in Südtirol ist gekennzeichnet durch seine besondere ethnische Situation. Über die Entwicklung nach dem 1. Weltkrieg und die Zeit des Faschismus habe ich oben unter „Geschichtliche Entwicklung, Abschnitt a)“ berichtet. Erst nach dem II. Weltkrieg wurde der muttersprachliche Unterricht als Grundrecht verankert. Basis dafür war das erste Autonomiestatut. Durch das Zweite Autonomiestatut von 1972 und folgende Durchführungsbestimmungen  wurden der autonomen Provinz Südtirol weitere Rechte und Zuständigkeiten eingeräumt. Das unterscheidet Südtirol von anderen Regionen Italiens, allerdings hat das Land weit weniger Gesetzgebungsbefugnisse als etwa ein deutsches Bundesland.
Dies führte dazu, dass in Südtirol heute drei getrennte Schulwesen existieren und dementsprechend  eine deutsche, eine italienische und eine ladinische Schulverwaltung. So gibt es in der Südtiroler Landesregierung auch jeweils einen Landesrat für die deutsche, italienische und ladinische Bildung und Kultur, der der jeweiligen Sprachgruppe angehören muss.
Neben diesen Südtiroler Besonderheiten gelten für das Bildungswesen in Südtirol auch die für ganz Italien vorgeschriebenen Gesetze. Besonders für die Lehrkräfte Südtirols ergibt sich daraus ein Dualismus, denn sie sind einerseits Angestellte des italienischen Staates und müssen dessen Vorgaben beachten, andererseits erhalten sie auch Weisungen von ihrer jeweiligen deutschen, italienischen oder ladinischen Schulverwaltung. Abgemildert wird diese komplizierte Situation durch das 1997 italienweit eingeführte Gesetz über die Autonomie der Schulen, das den einzelnen Schulen größere didaktische, organisatorische, finanzielle und verwaltungsmässige Autonomie eingeräumt hat. Nach einer vom italienischen Ministerrat am 19. 1. 2018 verabschiedeten Durchfülhrungsbestimmung kann das Land Südtirol
auf der Grundlage des Artikels 19 des Autonomiestatuts im Einvernehmen mit der Freien Universität Bozen und dem Konservatorium die Ausbildung des Lehrpersonals für alle Schulstufen und alle Sprachgruppen selbst regeln.

In Italien – und damit auch in Südtirol – gilt eine zehnjährige Schulpflicht, ergänzt durch eine Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr. Vorgeschaltet ist der freiwillige Besuch des in der Regel dreijährigen Kindergartens, wobei ein Südtiroler Landesgesetz das Anrecht auf einen Kindergartenplatz festgelegt hat.
Die fünfjährige Grundschule bildet gemeinsam mit der dreijährigen Mittelschule die sogenannte Unterstufe. Für alle Schülerinnen und Schüler gibt es also bis zum Ende des 8. Schuljahres einen gemeinsamen Bildungsweg. Daran schließt die Oberstufe an. Diese umfasst einerseits die fünfjährigen Oberschulen (Gymnasien und Fachoberschulen) und andererseits die drei- bis vierjährigen Schulen der Berufsbildung. Sowohl Oberschulen als auch Schulen der Berufsbildung führen nach Absolvieren eines fünften Jahres zur Matura, der staatlichen Abschlussprüfung, deren erfolgreiches Bestehen berechtigt zum Besuch einer Hochschule oder Universität.15

Über die besondere Situation der ladinischen Schule in Südtirol berichte ich unter Situation der Ladiner 3.092  Abschnitt 5


Zusammenfassend kann man feststellen, dass die deutsche Schule in Südtirol ein Erfolgsmodell ist und wesentlich zum Erhalt der deutschen Sprache und Kultur in Südtirol beiträgt. Auch die jüngste PISA-Studie belegt, dass die Schüler an den deutschen Schulen in Südtirol auch im internationalen Vergleich sehr gute Ergebnisse erzielten. Etwas weniger gut schnitten die ladinischen Schulen und relativ schlecht die italienischen Schulen ab. In der Lesekompetenz liegen die deutschen Schüler Südtirols sogar besser als der Durchschnitt aller bundesdeutschen Schüler und in Mathematik sind die Ergebnisse der deutschen und ladinischen Schulen sogar besser, als jene des besten europäischen Landes (Estland)..16

Auch die 1997 gegründete Freie Universität Bozen belegt regelmäig in internationalen Rankings sehr gute Positionen. Die Freie Universität Bozen ist eine international ausgerichtete, mehrsprachige Universität (Deutsch, Italienisch, Englisch und Ladinisch). Forschung und Lehre finden an 5 Fakultäten (Wirtschaft, Bildung, Informatik, Design und Künste, Naturwissenschaft und Technik)  und 2 Kompetenzzentren statt. Ein wesentliches Merkmal der Uni Bozen ist die Dreisprachigkeit in Lehre und Forschung, die in dieser Form in Europa einzigartig ist. Studierende an der Uni Bozen erwerben hier neben fachspezifischem Wissen eine kommunikative Kompetenz, die für die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts von großer Bedeutung ist.17

5. Kultur 

Das Autonomiestatut für Südtirol in seiner heutigen Ausgestaltung gibt der Südtiroler Landesregierung die Kompetenz  für kulturelle Angelegenheiten, Landschaftsschutz, Denkmalschutz, Fremdenverkehr, sowie den Bau von Schulen und Kindergärten und den Unterricht im Kindergarten und an Grund- und Sekundar-Schulen. Dazu gibt es ein Schulamt für jede in Südtirol lebende Sprachgruppe. 

Nachstehend einige Beispiele für die lebendige kulturelle Vielfalt Südtirols:  

Insgesamt gibt es in Südtirol 145 Museen, Sammlungen und Ausstellungsorte. Eine Broschüre der Südtiroler Landesregierung kann unter
http://www.museen-suedtirol.it/de/broschuere.asp
angefordert oder als pdf heruntergeladen werden. 



In Südtirol hat jeder Ort, jedes Dorf seine eigene Blasmusikkapelle. Dem Verband Südtiroler Musikkapellen gehören zur Zeit (2019) 9350 Musikantinnen und Musikanten in 211 Kapellen an. Sie pflegen das Brauchtum und bilden mit ihrer Tracht z.B. bei Stadt- und Dorffesten eine beeindruckende Kulisse.
Auch die Chormusik wird in Südtirol besonders gepflegt. Der Dachorganisation Südtiroler Chorverband gehoren (2019) 10.273 Sängerinnen und Sänger in 402 Chören an, in denen alle Formen des Singens in Gemeinschaft geübt und aufgeführt werden.
Im Südtiroler Theaterverband sind ca. 6000 Schauspielerinnen und Schauspieler organisiert, die auf 214 Bühnen auftreten und damit deutsche und ladinische Kultur weitergeben und erhalten. 

Die vorstehenden Zahlen sprechen für sich und zeigen gleichzeitig ein beeindruckendes Bekenntnis der Südtiroler zu ihrer deutschen Sprache und Kultur. Zum Teil treten alle genannten Künstler und Musiker auch in den deutschsprachigen Ländern auf und finden dort ein begeistertes Publikum.


 
Presse, Rundfunk und Fernsehen sind wichtige Kulturträger und wesentlich mitbestimmend für die kulturelle Identität. In meinem Post Dolomitenladiner habe ich unter Punkt 6 eine ausführlich Darstellung über die besondere Situation der Ladiner veröffentlicht, die als kleine Sprachgruppe ohne benachbarte Länder mit gleicher Sprache und Kultur besonderen Herausforderungen unterliegen. In diesem Zusammenhang habe ich auch die Entwicklung deutschsprachiger Funk- und Fernsehsendungen in Südtirol  geschildert.

Das Land Südtirol ist bekannt für seine Landschafts- und Naturschönheiten, aber auch für kulturelle Denkmäler von besonderem Rang. Davon können sich immer wieder die vielen Touristen überzeugen, die Südtirol besuchen und in ihr Herz geschlossen haben. Das relativ kleine Land besitzt allein 9 Naturparke der unterschiedlichsten Ausprägung. 


                        Übersichtskarte der Naturparke in Südtirol

Einen Einblick in die Schönheit der Natur und Landschaft Südtirols und ihrer Kultur-Denkmale möchte ich mit einigen von mir bei verschiedenen Urlaubsaufenthalten gemachten Fotos vermitteln.(siehe Fotoanhang http://euro-ethnien.blogspot.de/2012/12/20109-anhang-bildergalerie-sudtirol.html )


6. Politische Situation

Seit dem 2. Weltkrieg ist die Südtiroler Volkspartei (SVP) als Sammelbewegung der deutschen und ladinischen Bewohner Südtirols bestimmende politische Kraft im Land. Sie hat die schwierigen Verhandlungen geführt, die zum heutigen Autonomie-Statut geführt haben und dafür auch die politische Verantwortung übernommen. Seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sind neben den italienischen Parteien auch andere deutsche Parteien im Südtiroler Land vertreten. Bis zur Landtagswahl am 27. 10. 2013 konnte die SVP eine absolute Mehrheit im Südtiroler Landtag behaupten. Bei der Wahl 2008 war der Vorsprung jedoch schon auf ein Mandat (18 von 35 Abgeordnete) geschrumft und bei der Landtags-Wahl am 27. 10. 2013  ging die absolute Mehrheit verloren. 
Mit der Wahl 2013 ging auch die 25jährige Ära des bisherigen Landeshauptmanns Luis Durnwalder zu Ende, der viel zur guten politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Südtirols beigetragen hat und auch großes Ansehen bei den Italienern in Südtirol wie auch in Rom genoss. Der neue Hoffnungsträgerder SVP war der bisherige Bürgermeister von Völs am Schlern, Arno Kompatscher, der auf Anhieb über 80.000 Vorzugsstimmen erhielt. Am 9. 1. 2014 wurde Arno Kompatscher mit 20 von 34 abgegebenen Stimmen zum neuen Landeshauptmann Südtirols gewählt. Er bildet wieder eine Landesregierung aus seiner SVP und der Partito Democratico (PD).
                                         Landeshauptmann Arno Kompatscher

Noch schlechter als 2013 fiel das Ergebnis für die SVP bei der letzten Landtagswahl im Oktober 2018 aus. Sie verlor weitere 2 Mandate im Landtag und muss sich nun mit einer neuen Bewegung im deutschen Lager und einer erstarkten rechtspopulistischen italienischen LEGA auseinandersetzen.  Die neue Zusammensetzung des Südtiroler Landtags nach 2018 zeigt folgende Grafik:






Nach dieser Landtagswahl im Oktober 2018 hat sich die politische Lage in Südtirol grundlegend verändert. Wie alle großen Volksparteien in Europa musste auch die SVP herbe Verluste hinnehmen. Eindeutige Gewinner waren die neue Gruppierung "Team Köllensperger" und die italienische LEGA, die in Südtirol noch als Lega Nord auftritt. Die Lega des rechtsnationalen Innenministers Salvini kam auf 11,1% der Stimmen - viermal so viel wie in 2013. In der Landeshauptstadt Bozen wurde sie mit 27,8% sogar stärkste Partei vor der SVP. In der Provinz Trient erreichte die LEGA mit 46,6% sogar die absolute Mehrheit der Mandate und übernahm damit die letzte Bastion der Mitte-Links-Parteien in Italien. Die größte Überraschung der Wahl war jedoch der Erfolg des Team Köllensperger, einer Gründung des Bozener Unternehmers Paul Köllensperger. Dieser war 2013 als einziger Kandidat der italienischen 5-Sterne-Bewegung  in den Südtiroler Landtag eingezogen.  Erst im Juli 2018 war Köllensperger wegen wahltaktischer und programmatischer Differenzen aus der 5-Sterne-Bewegung ausgetreten und hatte in kurzer Zeit ein schlagkräfiges Team für die Landtagswahl gebildet. Seine Gruppierung zog nun mit 15,2% der Stimmen und 6 (deutschsprachigen) Abgeordneten in den Südtiroler Landtag ein und wurde  damit auf Anhieb zweitstärkste Fraktion. 

Das Team Köllensperger konnte nicht nur frühere Wähler von der SVP gewinnen, sondern auch von den übrigen deutschen Parteien, die für eine größere Unabhängigkeit Südtirols vom italienischen Staat eintreten. „Die Freiheitlichen“ verloren gar 2/3 ihrer Wähler (6,2 statt 17,9%) und die „Südtiroler Freiheit“ ging von 7,2 auf 6% zurück. Die Bürger-Union des Andreas Pöder schied ganz aus dem Landtag aus, während die Grünen, die alle Volksgruppen ansprechen, zwar auch Stimmen einbüßten, aber ihre 3 Mandate verteidigen konnten. Inzwischen hat das Team K - wie sich die neue Partei nun nennt - durch Austritte und Ausschlüsse nur noch 4 Abgeordnete, was zu einer weiteren Zersplitterung der Parteigruppierungen beigetragen hat. Der Abgeordnete Josef Unterholzner bildet seit dem 1. 9. 2020 die eigene Fraktion "Enzian" und der Abgeordnete Peter Faistnauer ab 1. 9. 2021 die Fraktion "Perspektiven für Südtirol".

Schwierig gestaltete sich bei diesem Wahlausgang die Regierungsbildung, da lt. Südtiroler Autonomie-Statut die SVP verpflichtet ist, eine Koalition mit einer oder mehreren italienischen Parteien einzugehen. Insbesondere der Landesrat für die italienische Schule in Südtirol muss aus den Reihen der italienischen Sprachgruppe kommen. Bisher bestand eine Koalition der SVP mit der Demokratischen Partei (PD), die nun allerdings nur noch 1 Mandat errang, so dass  eine SVP+PD-Koalition keine Mehrheit mehr hatte.
Eine Koalition mit "Team Köllensperger", der neuen Konkurrenz zur SVP, schied ohnehin aus, da das Team über keinen italienischsprachigen Abgeordneten im Landtag verfügte. Erst an 7. Stelle der Liste stand eine italienisch-sprachige Meranerin. Selbst wenn ein Abgeordneter des Teams zugunsten der Meraner Ratspräsidentin Francesca Schier auf sein Mandat verzichtet hätte, wäre die SVP eine Koalition mit der ungeliebten Konkurrenz im deutschsprachigen Wählerspektrum sicher nicht eingegangen. Köllensperger bezeichnet sein Team als sozial-liberale Sammlungsbewegung aus der Mitte der Gesellschaft, durchaus mit ähnlichen Zielen wie die SVP, "aber besser und wir wollen nicht nur die deutsche, sondern alle Südtiroler Volksgruppen vertreten". Ein Jahr nach der Wahl, im  Oktober 2019 hat sich das Team Köllensperger in "Team K" umbenannt, nachdem sein Gründer Paul Köllensperger erklärte, dass seine Bewegung inzwischen mehr sei als seine Person. Zweifellos muss man die Entwicklung dieser Bewegung weiter beobachten, denn sie kann für die bisher in Südtirol dominierende SVP durchaus zu einer ernsthaften Konkurrenz werden.


Eine weitere Koalitionsmöglichkeit wäre allerdings auch ein Dreierbündnis aus SVP, PD und den Grünen gewesen.
Aber die SVP entschied sich letztlich für die ebenso ungeliebte rechte LEGA als Koalitionspartner. Landeshauptmann Arno Kompatscher ging diesen Drahtseilakt ein, weil es sein Anliegen sei, die italienische Sprachgruppe gut einzubinden und die Lega habe nun einmal von der italienischen Sprachgruppe deutlich die meisten Stimmen bekommen. Als Voraussetzung einer  Zusammenarbeit hatte Kompatscher einen "Wertekatalog" erstellt, der als Präambel des Koalitionsvertrags festgeschrieben werden sollte. Darin bekennen sich beide neuen Regierungs-Parteien zur Südtiroler Autonomie, zum europäischen Einigungsprozess und  zum Euro, zum sozialen Frieden und gegen die Ausgrenzung von Minderheiten,  für eine Gesellschaft der Toleranz und Offenheit. Erst nach langem Zögern hat die LEGA diesen Wertekatalog akzeptiert. Darnach kam es dann im Januar 2019 schnell zur Einigung, so dass Arno Kompatscher am 17. Januar 2019 erneut mit den 19 Stimmen von SVP und LEGA zum Südtiroler Landeshauptmann gewählt wurde. In der neuen Landesregierung gehören 7 Landesräte der SVP und 2 der LEGA an, darunter Giuliano Vettorato als zweiter Landeshauptmann-Stellvertreter und Landesrat für italienische Bildung und Kultur, Energie und Umwelt.

(Über die besondere Situation der Ladiner siehe 3.092)

7. Perspektiven

Die heutige weitgehend befriedete Situation in Südtirol wurde positiv durch den europäischen Einigungsprozess beeinflusst. Die EU war und ist ein Glücksfall für Südtirol. Die Grenze am Brenner ist keine Trennungslinie mehr, im Gegenteil: heute gibt es die grenzüberschreitende  Europa-Region Tirol (Bundesland Tirol – Südtirol – Trentino), die im wesentlichen alle früher zu Tirol gehörenden Landesteile verbindet und eint. Auch ist dem  schroffen Nebeneinander der deutschen und italienischen Sprachgruppe, wie man es bei Besuchen Südtirols noch in den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte ein toleranteres Miteinander gefolgt. Dies merkt der Besucher allein an der Tatsache, dass inzwischen auch viele Italiener aus den südlicheren Provinzen gerne Urlaub in Südtirol machen und von den dortigen Wirten inzwischen auch willkommen geheißen sind. Es bleibt zu hoffen, dass diese "Normalität" auch in Zukunft  weiter Bestand hat. So gesehen war das Eingehen einer Koalition der SVP mit der LEGA vielleicht sogar ein kluger Schachzug. Er hat sich sogar in einem Punkt ausgezahlt, da die beabsichtigte Reduzierung von 3 auf 2 Südtiroler Senatoren von der römischen Regierung inzwischen zurückgenommen wurde. Andererseits ist auch ein Angebot der österreichischen Mitte-Rechts-Regierung aus ÖVP und FPO inzwischen vom Tisch, das vorsah, allen deutsch- und ladinisch-sprachigen Südtirolern auf Antrag neben der italienischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Dies hatte ein sehr negatives Eche in Rom zur Folge. Aber mit diesem Pfund konnten die rechtsgerichteten Südtiroler Parteien, insbesondere die Südtiroler Freiheit, bei der Wahl im Oktober jedoch nicht punkten, was die Wiener "Presse" zu der Bemerkung veranlasste: "Südtiroler wollen keine Österreicher sein". Tatsächlich hat sich      m. E. bei den Deutschen in Südtirol inzwischen eine eigene Identität herausgebildet, die Wert auf Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturraum legt, sich in der Autonomie innerhalb Italiens aber inzwischen weitgehend eingerichtet hat.  Auf diese Weise kann Südtirol auch für andere Minderheiten in Zukunft ein Vorbild und eine Option bleiben.
Auch Querschüsse aus Rom, wie sie ab und zu von rechten Parteien erfolgen, sollte ein so gefestigtes Südtirol aushalten können.


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1 Wikipedia
2 Felix Ermacora: „Südtirol und das Vaterland Österreich“ S. 20. Im Londoner Vertrag vom 26. 4 1915 zwischen Italien und den Alliierten England und Frankreich wurde in den Punkten 4 – 8 ganz Südtirol bis zum Brenner als einer natürlichen Grenze Italien zugesprochen.
3 Josef Riedmann „Geschichte Tirols“ S. 218
4 Josef Riedmann „Geschichte Tirols“ S. 219
5 Hans Kramer in „Der Schlern“ Heft 6, Juni 1978: Nationalitäten und Sozialkampf am Beispiel Südtirols 1906 bis 1913, S. 299ff: u. a. ...die Stützpunkte des Italienertums waren Roverè della Luna (Aichholz) an der Sprachgrenze und zum größten Teil Pfatten (südwestlich des Montiggler Sees)...Nur in diesen Orten wurde der Gottesdienst ausschließlich in italienisch gefeiert..... Darüber hinaus gab es zwischen Bozen und Salurn eine italienische Minorität in den Orten Auer, Branzoll,, Burgstall, Gargazon, Leifers, Neumarkt und Salurn (einschließlich der heutigen Fraktionen dieser Gemeinden).
6 Josef Riedmann „Geschichte Tirols“ S. 219 und Karl Mittermaier „Das politische System Südtirols“ S. 11
7 Felix Ermacora: „Südtirol und das Vaterland Österreich“. Weitere Ausführungen zu der Haltung der Ladiner siehe unter 3.092
8 Kurzgefasste Landesgeschichte Südtirols 1918-2002, herausgegeben vom Südtiroler Landtag, S. 3f
9 In seinen 1948 erschienenen Memoiren „Memorie di vita“ schreibt Tolomei, dass es sein Ziel war, alle deutschen und ladinischen Namen „bis zum letzten Haus, bis zu den Wiesen der Höfe, bis zu den Almen“ durch italienische Bezeichnungen zu ersetzen. Nicht weniger als 20000 Orts- und Geländenamen wurden von ihm erfunden, um die Italianität dieses Gebietes vorzutäuschen. Der aus Rovereto (Provinz Trient) stammende Tolomei gehörte bereits seit 1885 zu der Vereinigung „Pro Patria“, die revolutionäre und nationalistische Ziele verfolgte. Berühmt ist seine Fälschung aus dem Jahre 1904, als er bei der Besteigung des Glockenkarkopf im hinteren Ahrntal mit seinem Bruder ein „I“ als symbolische Besitzergreifung für Italien in den Felsen einmeißelte und den unscheinbaren Gipfel „Vetta d’Italia“ (Scheitel Italiens) benannte. Er stellte sich mit großer Leidenschaft in den Dienst der Faschisten und verfolgte rücksichtslos sein Ziel der Italianisierung Südtirols. (Siehe u. a. Egon Kühebacher: „Ettore Tomei“ in Südtirol in Wort u. Bild Nr. 1/1998)
10 Othmar Parteli: „Einstellung der deutschsprachigen Zeitungen in Südtirol“ in Südtirol in Wort u. Bild Nr. 4/2000
11 Klaus Gatterer: Schöne Welt, böse Leut, Kindheit in Südtirol.. Er berichtet u. a. von einem Brief seiner Schwester, die sich entschuldigt, weil sie italienisch schreibt und sich schämt, im Deutschen zu viele Fehler zu machen. Er kommentiert dies so: ...aber war es eine Schande, lieber richtig als deutsch zu schreiben?...Wenn es da eine Schande gab, dann lag sie bei jenen, die uns zwangen, unsere Sprache zu vergessen und dafür Italienisch zu lernen, italienisch zu schreiben, italienisch zu lügen – nicht „doppelsprachig“, aber perfekt doppelzüngig zu sein.
12 In Südtirol in Wort u. Bild Nr. 3/2002 u. 1/2003 wird in den Artikeln „Katakombenschulen“ bzw. „Josef Noldin“ besonders dreier Persönlichkeiten des Südtiroler Unterlandes gedacht: Rudolf Riedl, Josef Noldin und Angela Nikoletti, die trotz Druck und Schikanen den Deutschunterricht in privaten Räumen durchführten. Josef Noldin wurde auf die süditalienische Insel Lipari verbannt und erkrankte dort an einer typhusähnlichen Krankheit, an der er nach vorzeitiger Begnadigung am 14. 12. 1929 verstarb.
13 Die Informationen habe ich im wesentlichen entnommen: a) Felix Ermacora: „Südtirol und das Vaterland Österreich“ S.32ff und Abstimmungsergebnisse S. 400ff - b) „Vor 70 Jahren – Gehen oder Bleiben – Die Option in Süddtirol“ in Südtirol in Wort u. Bild Nr.2/2009 - c) „Südtirol in den Schicksalsjahren von 1943 bis 1945“ in Südtirol in Wort u. Bild Nr. 3/2002. - Eine ausführliche Dokumentation der Option brachte die Südtiroler Zeitschrift „Föhn“ mit dem Doppelheft 6/7 im Jahre 1980http://www.provinz.bz.it/729212/de/geschichte/suedtirol-1946-1971.asp
14 wie vor und "70 Jahre Pariser Vertrag" in Das Land Südtirol 1/2016
15·       Dr. Peter Höllriegel (seit 2003 Schulamtsleiter für die deutsche Schule in Südtirol und seit 2011 Leiter des neu geschaffenen deutschen Bildungsressorts, das für Kindergärten, Grund-, Mittel-, Ober- und Berufsschulen sowie Landesmusikschulen zuständig ist ): Vortrag  „Schulautonomie in Italien und in Südtirol“ in ÖGSR = Österreichische Gesellschaft für Schule und Recht, Heft 01/2014 und 
 http://www.schule.suedtirol.it/Lasis/index.htm





                                                                                                                                                                             
   





 

1 Kommentar:

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